In den nachfolgenden Kapiteln des Blogs „Frauen“ beschreibe ich, wie sich das Rollenverständnis zwischen Frau und Mann immer wieder verändert hat.
Ein Teil des Geschriebenen beruht auf Mutmaßungen weil es keine wissenschaftliche Belege dafür gibt. Vieles lässt sich jedoch von dem Wissen herleiten über das wir heute verfügen.
In meiner Kindheit, ich wurde 1949 in eine katholische Familie hinein geboren, war es die Norm, dass die Männer zur Arbeit gingen und die Frauen zu Hause die Kinder und Kranken/Alten versorgten sowie die Hausarbeit erledigten.
Diese Rollenverteilung wurde soweit mir bewusst, nicht hinterfragt. Frau wie Mann nahmen ihre Rollen als gegeben hin. In der Kirche knieten die Frauen im linken und die Männer im rechten Teil des Kirchenschiffs, es war nicht üblich, dass einer zur anderen Seite wechselte. Während die kleinen Mädchen ohne Kopfbedeckung die Kirche betreten durften, trugen alle Frauen entweder ein Kopftuch oder einen Hut. Die Männer hatten wie wir Jungs vor dem Betreten der Kirche eine Kopfbedeckung ab zu nehmen. Die Frauen hatten sich ihrem Gott gegenüber züchtig zu geben, die Männer hatten ihrem Gott gegenüber ihre Demut zu zeigen, und alle hatten vor ihm zu Knien und ihn zu Lobpreisen.
Ich weiß nicht, ob sich irgendeine/r Gedanken darüber gemacht hat, warum wir das alle taten und tun mussten. Für uns Jungs hieß es vor dem Kirchportal immer nur „Mütze ab“.
Dann, Ende der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts, eine kleine Revolution. Einige Frauen wechselten zu ihren Ehemännern auf die rechte Seite des Kirchenschiffs, was zu vielen, vor allem bei älteren Frauen, ablehnenden Diskussionen führte.
Diese vorgegebenen Rollen betrafen das gesamte gesellschaftliche Leben. Die Schulen, die ich besuchte, waren immer gemischte Klassen. Aber nach Beendigung der Schule waren für beide Geschlechter zumeist unterschiedliche Lebenswege vorgegeben.
Später, mit dem Erwachsen werden, stellte sich mir und wahrscheinlich vielen anderen die Frage, warum es diese unterschiedlichen Berufsausrichtungen und Lebenswege gab. Wir wurden in eine Ordnung hineingeboren, die man als normal empfand und zu Anfang des Lebens nicht hinterfragte (und viele haben es bis zu ihren Tod nicht hinterfragt).
Heute sind viele Frauen mit der ihnen aus der Tradition erwachsenen zugewiesen Rolle in unserer Gesellschaft nicht mehr einverstanden, sie wollen nicht länger in das Rollenbild ihrer Vorfahren gepresst werden. Ich, und wahrscheinlich viele andere Männer können das sehr gut nachvollziehen.
Aber warum lebten die Frauen noch um 1960 in einem Rollenklischee, das uns heute wie eine Unterdrückung der Frauen erscheint. Haben die Männer bewusst die Frauen unterdrückt um sich selber zu erhöhen – oder haben auch sie ihre Rolle als von Gott und der Gesellschaft gegeben hingenommen?
Wie konnte dieses Rollenklischee entstehen?
Sind die Rollen von der Natur vorgegeben oder von Menschen gemacht?
Um diese Fragen beantworten zu können, müssen wir
- die biologischen Unterschiede zwischen Frau und Mann betrachten – das beschreibe ich in Kapitel 2.10,
- die Entwicklung des Bewusstwerdens zu verstehen versuchen. Aus einem immer größer werdenden Wissen lässt sich erklären, warum sich die Sicht auf das Welt- und Menschenbild in der Vergangenheit immer wieder verändert hat. Das beschreibe ich ab den Kapitel 2.1ff.
Bei den Kapitel 2.1 bis 2.3 beruht sehr vieles auf Annahmen und Mutmaßungen weil wir aus dieser Zeit außer Fossilien und weniger Hinterlassenschaften keinerlei wissenschaftliche Beweise haben. So können wir nur von Annahmen ausgehen und daraus Rückschlüsse ziehen.
Wovon können wir ausgehen?
Nach heutigen Erkenntnissen, die auch von großen Teilen der Vertreter christlicher Religionen geteilt wird, können wir davon ausgehen, dass alles Leben einen gemeinsamen Ursprung hat. Aus diesem Ursprung hat sich über Jahrmilliarden das Leben immer weiter entwickelt.
Diese Theorie, die auf Darwin zurück geht, ist die Evolutionstheorie.
Wenn diese Evolutionstheorie richtig sein sollte, dann dürfte das Verhalten der Vormenschen denen der anderen höheren Arten ähnlich gewesen sein. Grob formuliert: Das Wesentliche im Leben dieser Individuen war die Erhaltung des eigenen Lebens und das der Sippe und damit der Art.
Über das, was sie gefühlt, gedacht und ob und welche Unterschiede es zwischen den beiden Geschlechtern gab, darüber haben wir keinerlei Kenntnisse und werden wahrscheinlich auch nie welche belegen können.
Was jedoch gewiss sein dürfte,
- die Umweltbedingungen haben in den jeweiligen Jahrtausenden maßgeblich die zu erfüllenden Rollen beeinflusst.
- unsere Vorfahren hatten nicht den Wissensstand, den wir heute besitzen.
- Und nun eine These:
Noch vor zehntausend Jahren dürften die Menschen keinen Zusammenhang zwischen der Besamung durch den Mann und dem Entstehen neuen Lebens gesehen haben.
Das neue Wissen, das ohne den männlichen „Samen“ kein neues Leben entstehen kann, hatte entscheidenden Einfluss auf den Stellenwert der Frauen. - Mit dem Entstehen der Hochkulturen wurde der gesellschaftliche Stellenwert und damit das Rollenverständnis von Frauen und Männern immer wieder neu definiert.
- Dass Rollenverständnis unserer Vorfahren von der Antike bis vor 100 Jahren war vor allem der Sozialisation geschuldet.
Zu welchem Zeitpunkt einigen Menschen erstmals bewusst wurde, dass sich ohne die Besamung des Mannes in der Frau kein neues Leben entwickelt, ist unbekannt. Man kann jedoch spekulieren, dass diese Erkenntnis ursächlich dafür ist, dass nach dieser “Erkenntnis” Frauen als dem Mann nicht gleichwertig angesehen wurden. Schon bei den ersten Hochkulturen (4.000 v. Chr., Sumerer) scheinen die Männer einen anderen Stellenwert als die Frauen gehabt zu haben. Der Glaube, dass der Mann mit seinem Samen (Sperma) der Schöpfer neuen Lebens wäre, fand Eingang in die biblische Schöpfungsgeschichte, auf der unsere westliche Kultur im Wesentlichen fußt.
Als Gott am 6. Tag den Mensch, selbstverständlich einen Mann, den Adam, nach seinem Ebenbild erschuf, war Gott mit dem, was er in den vergangen sechs Tagen geschaffen hatte, zufrieden. Als Gott später sah, dass Adam sich einsam fühlte, schuf er ihm eine Eva. Eva war von ihrer Statur her kleiner als Adam. Aber Eva naschte, obwohl es ihnen Gott streng verboten hatte, am Baum der Erkenntnis. Wer ist also schuld, dass wir Menschen aus dem Paradies geflogen sind?
Ist aus diesem Glauben, dass das Sperma neues Leben spendet, zu erklären, dass neben der Masturbation die gleichgeschlechtliche Beziehung zwischen Männer weitaus stärker tabuisiert war als zwischen Frauen? Bei Männern wurde lebensspendender Samen verschwendet, Frauen waren nach diesem Geschlechterbild nur die Austrägerinnen der Leibesfrucht.
Dieses Geschlechterbild, dass schon die Griechen und Römer vertraten, wurde immer mehr zementiert und ausgeweitet. Die Frau trägt das vom Mann gespendete Leben aus. Sie wird vom Mann gegenüber denen geschützt, die ihr etwas antun wollen, die sie begehren um sie als Mutter für ihre eigene Lebensspende zu missbrauchen. Die Frau nimmt eine untergeordnete Rolle ein und leistet niedriger angesehene soziale Dienste wie die Hausarbeiten, die Aufzucht der Kinder oder die Pflege der Kranken. Der Mann wirkte nach Außen, die Frau im Innern der Familie.
Der Mann ist der stärkere und durchsetzungsfähigere. Er ist der Beschützer und Ernährer seiner Familie.
Und wie war die Realität? Nach außen hin dürfte jeder Mann versucht haben dieser normativen Verhaltens-Vorgabe gerecht zu werden. Viele Männer werden von ranghöheren Männern ebenfalls erniedrigt, gedemütigt und ausgebeutet worden sein. In manchen Familien dürfte eine charakterstarke Ehefrau ihrem Mann seine Grenzen aufgezeigt haben.
Ab dem 19. Jahrhundert haben sich zunächst einige wenige, dann immer mehr Frauen gegen dieses Rollenclique gewehrt. So hat sich unsere westliche Kultur immer mehr von der Antike abgewandt, während andere Kulturen noch in diesem Welt- und Menschbild verhaftet sind.
Hinzu kam, dass die Wissenschaften mit vielen neuen Erkenntnissen dieses Rollenbild als falsch erkannten. Diese Erkenntnis brauchte aber bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts um zum Allgemeinwissen zu werden (in späteren Kapitel dazu mehr).
Heute wird in den westlichen Gesellschaften intensiv um ein neues Geschlechterbild gerungen, es wird debattiert und emotionalisiert. Aus meiner Sicht sind wir auf dem Weg in eine ganz neue Gesellschaft mit veränderten Werten und Normen.